Soziale Grundlagen

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Inhaltsverzeichnis

Soziale Nachhaltigkeit

Die Themen Klimawandel, Klimaschutz und Anpassung an die Folgen des Klimawandels sind eng mit der Idee der Nachhaltigkeit verknüpft. Eine nachhaltige Entwicklung muss den Bedürfnissen der gegenwärtigen Generationen entsprechen, ohne den Bedürfnissen der folgenden Generationen entgegen zu stehen. Sie beinhaltet ökologische, ökonomische und soziale Aspekte.  Während Naturschutz und wirtschaftliche Erwägungen bereits fest in den gegenwärtigen Diskussionen zu Klimaschutz und Anpassung verankert sind, findet die soziale Dimension bislang noch unzureichend Eingang.

1992  wurde im deutschen Bundestag eine Enquete-Kommission „Schutz des Menschen und der Umwelt“ eingesetzt. In ihrem Abschlussbericht sind drei soziale Zielebenen festgehalten, die die Fragestellungen der sozialen Nachhaltigkeitsdebatte abstecken[1]:

Diese Ziele sind auch und gerade in Hinblick auf den Klimawandel zu berücksichtigen.


Umweltgerechtigkeit und Klimagerechtigkeit

Der Begriff Umweltgerechtigkeit wurde in den 80er Jahren in den USA im Zusammenhang mit der damaligen Bürgerrechtsbewegung geprägt („environmental justice“). Er bezeichnet einen angestrebten Zustand, in dem alle Menschen den gleichen Schutz vor Umwelt- und Gesundheitsgefahren genießen, und vor allem gleichermaßen die Möglichkeit  haben, sich an politischen Prozessen und Entscheidungsfindungen zu diesem Thema zu beteiligen[2].

Das Konzept „Umweltgerechtigkeit“ erlaubt es, die Aspekte sozialer Ungleichheit und Umweltthemen miteinander zu verknüpfen und Zusammenhänge zu betrachten. Das Thema Gesundheit und gesundheitliche Beeinträchtigung durch Umwelt (-verschmutzung) spielt hierbei die zentrale Rolle.

Die Frage ob und warum unterschiedliche Bevölkerungsgruppen in verschiedenem Maße von Umweltbelastungen (wie dem Klimawandel und seinen Auswirkungen) betroffen sind, wird in Europa allerdings erst seit kurzem aufgegriffen, und die empirische Datenlage in diesem Bereich ist bisher noch dünn[3].

Der Klimawandel stellt mittlerweile das weltweit gravierendste Umweltproblem dar und bringt für das Bestreben nach Umweltgerechtigkeit neue Herausforderungen mit sich. In diesem Zusammenhang rückt der Begriff Klimagerechtigkeit ins Blickfeld. Er beschreibt einen Teilaspekt der „Umweltgerechtigkeit“ und berücksichtigt sowohl die Ungleichverteilung der Ursachen des Klimawandels (Stichwort „Kohlenstoffgerechtigkeit“), als auch seiner Auswirkungen[4].

Es ist eine anerkannte Tatsache, dass der Klimawandel die soziale Ungleichheit weltweit verstärkt. Er betrifft und benachteiligt besonders die Armen, Kranken, Älteren und Flüchtlinge, die bereits jetzt unter gesellschaftlicher Ausgrenzung und beschränktem Zugang zu Ressourcen leiden. Global gesehen sind die Folgen des Klimawandels bereits ungleich verteilt[5]. Es gibt deutliche Hinweise darauf, dass Bevölkerungsteile, die ohnehin schon benachteiligt sind, durch die Folgen des Klimawandels stärker beeinträchtigt werden. Eine Untersuchung zum Wirbelsturm Katrina, der 2005 in den Vereinigten Staaten weite Landstriche verwüstete, zeigte, dass ethnische und soziale Minderheiten, Frauen, Kinder und ältere Personen in besonderem Maße belastet wurden. Diese erhöhte Beeinträchtigung resultiert unter anderem aus eingeschränktem Zugang zu Gesundheitsversorgung oder finanziellen Mitteln [3]. Neben der Feststellung, dass unterschiedliche Bevölkerungen und Personenkreise in unterschiedlichem Maße vom Klimawandel betroffen sind, stellt sich zudem die Frage, wer nach dem Verursacherprinzip die gesellschaftliche Verantwortung für die Eindämmung und Minderung von Umweltrisiken, speziell des Klimawandels trägt[2]. Die Industrienationen haben bislang den größten Anteil an klimaschädlicher Treibhausgasemission, wären aber nun durch hohen technischen Standart in der Lage, die Emissionen zu reduzieren. Hinzu kommt, dass global gesehen das Problem besteht, die Größe des Beitrags zum Klimawandel allein durch CO2-Bilanzierungen auszumachen. Die Bilanzierungen berücksichtigen bislang nicht, dass die Hauptorte von Produktion und Konsumption mittlerweile geografisch weit auseinander liegen (Stichworte "Versorgungshinterland", "Emissionsrucksack"). Da man von einer „internationalen Arbeitsteilung“ der Produktion sprechen kann, entsteht eine Schieflage zwischen den hochentwickelten Staaten Europas, Nordamerikas und Ostasiens gegenüber den Hauptproduktionsorten[6].


Soziale Stellung und der Klimawandel im städtischen Kontext

In einigen Studien konnte gezeigt werden, dass sozial schwache Teile der Bevölkerung vornehmlich in verkehrs- und schadstoffbelasteten, grünflächenarmen Stadtgebieten ansässig sind und dementsprechend den Folgen des Klimawandels wie z.B. städtische Überhitzungstendenzen direkter ausgesetzt werden. Dies beeinträchtigt natürlich die gesundheitliche Gesamtsituation [2]. Die bereits vorliegende Ungleichverteilung von klimawandeladäquatem Wohnraum ist auch in Deutschland alarmierend. Sogenannte gute Wohngegenden am Stadtrand sind meist gut durchlüftet, wenig versiegelt und nah an Grünflächen und Erholungsgebieten. Sie stehen hochverdichtetem Wohnraum in Ballungszentren mit hohem Aufheizungspotential und schlechter Frischluftzufuhr gegenüber, in dem meist die sozial schwächeren Bevölkerungsschichten leben[7].


Gender und Umweltgerechtigkeit

Global gesehen beschäftigt sich eine Reihe von Untersuchungen im Themenfeld Umweltgerechtigkeit mit der ungleichen Exposition zu negativen Umweltbelastungen von Männern und Frauen. Hierbei werden vor allem Umweltfaktoren  wie Trinkwasserversorgung, vektorbasierte Infektionskrankheiten und seit kurzem auch ökologische Risiken durch unkontrollierte Urbanisierung in Mega-Cities der sogenannten dritten Welt betrachtet. Die genderspezifische Ungerechtigkeit wird hierbei vor allem durch die besonders verletzliche Position der Frauen erklärt.

Trotz erheblicher Angleichungen sind auch in Europa soziale Bedingungen wie Einkommen oder Bildungsstand noch immer an geschlechtspezifische kulturelle Rollenmuster gekoppelt.

Aus diesen unterschiedlichen Lebensbedingungen leitet sich auch ein unterschiedlich ausgeprägter Kontakt mit Umweltbelastungen ab, wobei Frauen nicht zwangsläufig gravierender oder häufiger betroffen sein müssen als Männer.

Die meisten Umweltgerechtigkeitsprobleme stehen mit der Einkommenshöhe in Zusammenhang. So ist zum Beispiel, wie erwähnt, minderwertiger Wohnraum mit tendenziell höheren Umweltbelastungen vor allem in einkommensschwachen Schichten ein Thema. Da Frauen statistisch gesehen eine Bevölkerungsgruppe mit geringerem Einkommen darstellen und sie darüber hinaus auch noch von der Lebensführung her häufiger an das Wohnumfeld gebunden sind, werden sie hier tendenziell höher belastet als Männer.

Darüber hinaus zeigen Studien zum Umweltbewusstsein in Deutschland immer wieder, dass Frauen umweltbezogene und gesundheitliche Risiken deutlicher wahrnehmen und eher zu umweltbewusstem Handeln bereit sind als Männer. Daraus entsteht eine sogenannte „Feminisierung der Umweltverantwortung“, in der sich umweltschonendes Verhalten in den Zuständigkeitsbereich von Frauen verschiebt[3].

 

Migrationshintergrund und Umweltgerechtigkeit

In Familien mit Migrationshintergrund ist das Problem des oftmals niedrigen Einkommens und der tendenziell stark geschlechterspezifischen Rollenaufteilung statistisch gesehen stärker ausgeprägt. Daraus ergibt sich, dass diese Familien, und in diesen Familien speziell die Frauen stärker von Umweltbelastungen betroffen sein können[3].


Klimawandel und demographischer Wandel

Die sich ändernde Altersstruktur der Gesellschaft in der BRD spitzt die negativen Auswirkungen des Klimawandels in mehreren Aspekten zu. Gegenüber Hitzebelastungen stellen ältere Menschen eine besondere Risikogruppe dar. Durch physiologische Einschränkungen sind sie besonders gefährdet. Die Fähigkeit zu erhöhter Hautdurchblutung, mit der sich der Körper normaler Weise in Zusammenhang mit Schwitzen vor Überhitzung schützt, ist bei alten Menschen verringert. Bei ihnen funktioniert die Regulierung der Körpertemperatur und die Anpassung an Hitzebedingungen deutlich langsamer. Gleichzeitig nimmt das Durstgefühl im Alter gewöhnlich ab und die Menschen haben eine Tendenz zu einer Flüssigkeitsunterversorgung. Deshalb stellen Hitzewellen gerade für sie eine enorme körperliche Belastung und Gesundheitsgefährdung dar[8]. Gleichzeitig gehören ältere Menschen oftmals zu den einkommensschwachen Personengruppen, wodurch sie wiederum in hochbelasteten Wohnraum verdrängt werden.

 

Handlungsansätze auf kommunaler Ebene

In der Entwicklung und Umsetzung von Anpassungsstrategien sollte der soziale Aspekt unbedingt berücksichtigt werden. So ist zum Beispiel bei der Schaffung von Frischluftschneisen und hitzestressreduzierenden Infrastrukturen darauf zu achten, dass dies auch oder gerade in Ballungsgebieten und Regionen mit sozial benachteiligten Einwohnern erfolgt.

Bei Maßnahmen zur Information der BürgerInnen über Risiken und Verhaltenstipps bezüglich des Klimawandels sollte in erhöhtem Maße darauf geachtet werden, dass auch alle Bevölkerungsschichten erreicht werden. Dies ist oft bei älteren und sozial schwachen Menschen oder MigrantInnen nicht einfach.

Da für einkommensschwache Bürger die Möglichkeit zur autonomen, spontanen Anpassung im Falle von Klimaereignissen nicht oder nur sehr eingeschränkt gegeben ist,  muss hier in besonderem Maße von öffentlicher Seite her Sorge getragen werden[7].


Referenzen

[1] Dr. Greisberger, Herbert / Hasenhüttl,Susanne (2005): Nachhaltiger Klimaschutz. Ökologische, ökonomische und soziale Dimension von Klimaschutzmaßnahmen, Wien hier

[2] Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (BMVBS) / Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) (Hrsg.) (2009): Klimawandelgerechte Stadtentwicklung. „Climate-Proof Planning“, Online-Publikation hier

[3] Claudia Hornberg / Andrea Pauli "Gender, Umwelt und Gesundheit – Neue Sichtweisen auf das Umweltgerechtigkeitskonzept" in Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) / Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) / Robert Koch-Institut (RKI) / Umweltbundesamt (UBA) (Hrsg.) (2008): UMID-Themenheft: Umweltgerechtigkeit – Umwelt, Gesundheit und soziale Lage hier

[4] Wikipediaeintrag "Klimagerechtigkeit" hier

[5] Dr. Rodenberg, Birte (o. J.): Factsheet Klimawandel "Auswirkungen des Klimawandels auf die Gesundhgeit und auf die Bekämpfung von HIV und AIDS" hier

[6] Bauriedl / Baasch / Winkler (Kommunalpolitische Infothek der Heinrich Böll Stiftung): Fachtext: Kommunen und Klimaschutz: Die klimagerechte europäische Stadt  hier

[7] Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (BMVBS) / Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) (Hrsg.) (2009): Ursachen und Folgen des Klimawandels durch urbane Konzepte begegnen. Skizzierung einer klimawandelgerechten Stadtentwicklung, Online-Publikation 22/09 hier

[8] Umweltbundesamt (Hrsg.) / Becker, Paul (Fachautor) (2008): KLIMAWANDEL UND GESUNDHEIT. Informationen zu gesundheitlichen Auswirkungen sommerlicher Hitze und Hitzewellen und Tipps zum vorbeugenden Gesundheitsschutz, Dessau-Roßlau. hier

Weblinks

Brundtlandbericht hier

Lexikon der Nachhaltigkeit (Aachener Stiftung Kathy Beys) hier

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