Anpassungsstrategie Karlsruhe: Stadtklima und Stadtplanung

Aus KLIMASCOUT für Kommunen
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Die klima- und immissionsökologischen Funktionen in Karlsruhe und seinem Umfeld sind mittlerweile detailliert untersucht und liegen vor. Das gilt sowohl für die klimatische Ist-Situation als auch für die zukünftige bioklimatische Belastungsstruktur. Grundlage bilden die Tragfähigkeitsstudie des Nachbarschaftsverbandes Karlsruhe (NVK) und das darauf aufbauende ExWoSt-Projekt "Innenentwicklung versus Klimakomfort im Nachbarschaftsverband Karlsruhe"


Inhaltsverzeichnis

Klimatische Ist-Situation: Ergebnisse der Tragfähigkeitsstudie

Die in den Jahren 2009 bis 2011 für das Gesamtgebiet des Nachbarschaftsverbands ausgearbeitete Tragfähigkeitsstudie ist eine wichtige Arbeitshilfe für die derzeitige Fortschreibung des Flächennutzungs- und Landschaftsplans. Sie bildet die Empfindlichkeit des Naturhaushalts für insgesamt fünf Schutzgüter (Boden, Wasser, biologische Vielfalt, Freiraum / Erholung sowie Klima / Luft) großräumig ab und bewertet die umweltbezogene Bedeutung von noch nicht bebauten, primär im planerischen Außenbereich liegenden Flächen.

Bestandteil des Bausteins Klima war ein eigenes Fachgutachten, das sowohl für den Innen- als auch den Außenbereich die heutige klimatische Situation untersucht. Die Klimaanalyse selbst erfolgte mit dem mesoskaligen Simulationsmodell FITNAH (Flow over Irregular Terrain with Natural and Anthropogenic Heat Sources). Dies ermöglicht eine kleinwärmige Berechnung meteorologischer Kennwerte wie Luftströmungen, Temperatur- und Feuchteverhältnisse. Für die Simulation wurden dabei neben zentralen Eingangsdaten wie Geländerelief und Nutzungsstruktur auch die Ergebnisse einer vom NVK beauftragten im Sommer 2009 durchgeführten Thermalscannerbefliegung berücksichtigt.

Als ein wesentliches Ergebnis konnten auf diese Weise Kaltluft produzierende Flächen, also Flächen mit klimatischer Ausgleichswirkung, vorhandene Kalt- und Frischluftströmungen sowie städtische "Wärmeinseln" und Bereiche mit einer besonders hohen immissionsökologischen Belastung identifiziert und in einer Klimafunktionskarte für das gesamte Verbandsgebiet zusammengefasst werden.  Die durchgeführten Untersuchungen der klimaökologischen Funktionszusammenhänge beziehen sich ausschließlich auf die Verhältnisse während einer austauscharmen, sommerlichen Hochdruckwetterlage. Nur bei solchen Wetterlagen treten einerseits überdurchschnittlich hohe wärme- und lufthygienische Belastungen in den Siedlungsräumen auf, andererseits entstehen nächtliche Kalt- und Frischluftströmungen.

Nach der Klimafunktionskarte treten die höchsten bioklimatischen Belastungen in einer sommerlichen Hitzeperiode dort auf, wo sich der Effekt der städtische Wärmeinseln besonders gut ausprägen kann, also in dicht bebauten Bereichen mit einer starken Versiegelung und wenigen Grünflächen.

Als Kaltluft produzierende Bereiche sind generell alle vegetationsgeprägten Freiflächen wie Wälder, Ackerflächen, Wiesen, Parks, Gärten oder Friedhöfe anzusehen. Für die Charakterisierung der tatsächlichen Ausgleichsleistung  wird der Kaltluftvolumenstrom herangezogen. Leitbahnen verbinden die Ausgleichsräume mit den Belastungsbereichen und sind elementarer Bestandteil des Luftaustausches.

Der Regionalverband Mittlerer Oberrhein hat die klimatischen Ausgleichsfunktionsräume in einer eigenen Klimastudie ermittelt. Entsprechende Informationen in einer höheren Auflösung liegen also auch auf regionaler Ebene vor.


Zukünftige bioklimatische Belastungsstruktur

Der Nachbarschaftsverband Karlsruhe ist 2009 dem Aufruf des Bundesinstituts für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) zum Modellvorhaben "Urbane Strategien zum Klimawandel" im Programm "Experimenteller Wohnungs- und Städtebau" (ExWoSt) gefolgt und wurde als eine von neun bundesweiten Modellregionen für eine Förderung ausgewählt. Die Intention des im Herbst 2012 abgeschlossenen Modellprojekts bestand insbesondere darin, den aus ökologischer Sicht sinnvollen stadtplanerischen Ansatz der Innenentwicklung auch unter dem Aspekt des Klimawandels "zukunftssicher" zu machen. Hintergrund: Die Stadt Karlsruhe hat in den letzten Jahren zahlreiche Flächen im Innenstadtbereich neu bzw. umgenutzt und nachverdichtet. Dies trägt zur besseren Auslastung der sozialen und technischen Infrastruktur bei (Schulen, Kindergärten, ÖPNV etc.) und reduziert weitere Versiegelungen, die Zunahme von Verkehrsflächen sowie die Flächeninanspruchnahme im Außenbereich. Andererseits kann diese Entwicklung auch zu einer weiteren Erwärmung des Siedlungsgebietes führen.

Aufbauend auf der bereits vorhandenen Klimafunktionskarte des NVK wurden dafür in einem ersten Schritt mit dem Simulationsmodell FITNAH und dem Methodenpaket ENVELOPE räumlich hochauflösende Verteilungsmuster verschiedener Klimaparameter bis zum Jahr 2100 modelliert. Zur Charakterisierung der Überwärmungssituation und der Identifizierung künftiger "Hotspots" in den Stadtbezirken dienten die bekannten Parameter Hitzetage, Sommertage und Tropennächte. Ebenso wurden die "Tage mit Wärmebelastung" als beurteilungswert für die tatsächliche bioklimatische Hitzebelastung von Menschen berechnet.

Zu berücksichtigen ist, dass die dreidimensionalen FITNAH-Simulationen nicht parallel zu den bereits beschriebenen regionalen Klimamodellen ausgeführt wurden; stattdessen erfolgte eine Übertragung auf die lokale Ebene durch statisch-dynamische Verfahren. Es wurden also keine eigenen lokalen Klimaszenarien für zukünftige Vergleichszeiträume berechnet, sondern die Ergebnisse eines bestehenden regionalen Klimamodells "intelligent" auf kleinere Raumeinheiten unter Berücksichtigung von lokalen Besonderheiten wie Landnutzung und Relief umgewandelt.

Die Ergebnisse zeigen anschaulich und in fast beunruhigender Weise, wie sich die Projektionen der regionalen Klimamodelle konkret im Stadtgebiet auswirken dürften.

So wird die Zahl der heißen Tage bis zur Jahrhundertmitte deutlich ansteigen. Bis zum Ende des Jahrhunderts kann man etwa eine Verdoppelung erwarten. Dies bedeutet, dass in weiten Teilen des Stadtgebietes - auch außerhalb der Innenstadt - in Extremjahren mit bis zu 70 Hitzetagen und mehr zu rechnen ist. Selbst in den stadtnahen Waldgebieten lässt sich dann nur noch eingeschränkt Erholung finden, da im Oberwald die 30 Grad Marke an nahezu gleich vielen Tagen überschritten würde wie bereits heute in der Innenstadt. Die Anzahl der Tropennächte wird sich binnen der nächsten 50 Jahre fast verdoppeln und bis Ende des Jahrhunderts vervielfachen. In der Innenstadt sind es fast 40 Nächte, in denen die Temperatur nicht unter 20 °C abfällt.

Anpassungsmöglichkeiten und bisherige Aktivitäten

Um den Wärmeinsel-Effekten entgegenzuwirken, sind aus stadtplanerischer Sicht die Sicherstellung der Funktion des nächtlichen Kaltluftaustauschs durch zusammenhängende Freiräume und Frischluftbahnen - insbesondere während austauscharmer Strahlungswetterlagen - sicherzustellen. Bei wolkenlosen Sommernächten kühlen größere Grünflächen deutlich stärker ab als die überwärmte Bebauung. Dieser Temperaturunterschied löst lokale Windsysteme aus, welche je nach Intensität unterschiedlich weit in die Bebauung eindringen und dort die Wärmebelastung reduzieren. Für die Ausprägung dieser Strömungen ist es wichtig, das die Luft über eine gewisse Strecke beschleunigt werden kann und nicht durch vorhandene Hindernisse wie Bebauung oder dichtere Vegetation abgebremst wird. Die Breite dieser Leitbahnenbereiche sollte im Bereich der städtischen Wohnviertel mindestens 30 m betragen. Auf gesamtstädtischer Ebene sollten es 50 bis 100 m sein. Der Luftaustausch innerhalb von Wohnvierteln kann z. B. durch die Ausrichtung, Stellung und Höhe von Gebäuden verbessert werden. Gering überbaute Abstandsflächen sind gut geeignet, das Einwirken nächtlicher Flurwinde und Kaltluftabflüsse in die Siedlungsflächen während windschwacher, wolkenloser Sommernächte zu unterstützen. Abstandsflächen sollten nach Möglichkeit unbebaut sein. Da auch von dichterem Pflanzenwuchs eine Hinderniswirkung für den Luftaustausch ausgehen kann, sollten die Flächen von Grünstrukturen wie dichten Baumgruppen, Gehölzen oder hohen Hecken weitestgehend frei gehalten werden.

Die Entsiegelung und damit Verringerung befestigter Flächen mit hoher Wärmespeicherfähigkeit reduziert die Wärmebelastung zusätzlich. Versiegelte und bebaute Flächen speichern die Wärme des Tages und geben sie in der Nacht wieder an die Luft ab. Zudem verhindern sie die Verdunstung von Wasser aus dem Boden bzw. der Vegetation und die damit verbundene Abkühlung. Bestehende klimawirksame Grün- und Freiflächen sollten erhalten und neue geschaffen werden. Grün- und Freiflächen wirken bioklimatisch ausgleichend und sorgen am Tage während sommerlicher Hitzeperioden für ein angenehmeres Klima für die Menschen. Mittelfristiges Ziel soll sein, allen Bewohnern eines Stadtquartiers eine Grünfläche in weniger als 400 m Entfernung vorzuhalten, die diese gut zu Fuß erreichen können. Dabei kannn kurzfristig auch die Teilentsiegelung von Parkplätzen oder die Zwischennutzung von Baulücken als Nachbarschaftsgärten einen wertvollen Beitrag leisten. Grünflächen sollten ein Mosaik aus unterschiedlichen Mikroklimaten wie beispielsweise beschattete aber auch sonnige Bereiche aufweisen. Optimal sind innerhalb größerer Grünareale auch kühlende Wasserflächen vorhanden, um den unterschiedlichen Bedürfnissen der Menschen gerecht zu werden. Durch die Schaffung von zusätzlichen offenen Wasserflächen kann eine ausgleichende Wirkung erziehlt werden, da hier Verdunstungskälte entsteht.

Der innerstädtische Grünanteil soll durch Straßenbäume sowie Hof-, Dach- und Fassadenbegrünung (Schattenspender) erhöht werden. Das Aufheizen von Höfen und Straßen mit Straßenbäumen wird über den bekannten Mechanismus der Verschattung und Verdunstung von Wasser verringert. Gleichzeitig wird das Gehen oder Radfahren im Schatten ermöglicht. Der öffentliche Raum hat einen hohen Anteil an der Gesamtfläche einer Kommune, woraus sich ein großes Potenzial für die positive Beeinflussung des Bioklimas ergibt. Bäume sollen so positioniert sein, dass sie sowohl die Straßendecke als auch die Fassaden beschatten. Dabei sollte weder der vertikale Luftaustausch im Straßenraum (Lufthygiene) noch die horizantale Luftbewegung (Hinderniswirkung für nächtliche Kaltluftströmungen) beeinträchtigt werden.

Es sollen helle Materialien mit hoher Rückstrahlfähigkeit verwendet werden. Zum Beispiel zur Beschichtung von Dachflächen bei großen Hallen.

Seit 2004 besteht für das Gebiet "Innenstadt-West" das Sanierungskonzept "Soziale Stadt". Durch die betriebliche Nutzung der Hinterhöfe in der Vergangenheit liegt hier bei vielen Liegenschaften eine nahezu vollständige Versiegelung vor, weshalb die Entsiegelung und Begrünung von privaten Innenhöfen als eines der wesentlichsten Sanierungsziele festgelegt ist. Trotz einer Förderquote von 100% für die Entsiegelung und bis zu 25% für die nachgeordnete Grüngestaltungsmaßnahme wird dieser Programmteil jedoch kaum in Anspruch genommen.


Städtebaulicher Rahmenplan Klimaanpassung

Eine zentrale strategische Funktion für die weiteren Aktivitäten kommt dem für die Stadt Karlruhe geplanten "Städtebaulichen Rahmenplan Klimaanpassung" zu. Er wurde als anwendungsorientiertes Forschungsprojekt vom Land Baden-Württemberg in das Förderprogramm KLIMOPASS (Klimawandel und modellhafte Anpassung in Baden-Württemberg) aufgenommen. Ziel des Projekts ist es, bezogen auf die bioklimatischen Belastungen im Stadtgebiet, ein räumlich differenzierteres Bild an Anpassungsmaßnahmen für zwei wesentliche Handlungsfelder festzulegen.

Für das Handlungsfeld "Bioklimatische Belastung in Bereichen mit Wohnbebauung" soll der Rahmenplan aufzeigen, in welchen Bereichen Karlsruhe seinen Siedlungsbestand - insbesondere im Wohnungsbau - hitzeangepasst umbauen, die klimatisch entlastende Kühlwirkung von Grünflächen stärker nutzen und wohnungsnahe Grünflächen weiter erhalten bzw. verbessern muss.

Im Handlungsfeld "Grün- und Freiflächen" geht es darum, wo und wie Karlsruhe unter Berücksichtigung der bereits existierenden Grünplanung (des Gartenbauamtes) seine Grün- und Freiflächen klimawandelgerecht optimieren, eine ausreichende Bewässerung ressourcenschonend sicherstellen sowie den Bestand an Straßen- und Stadtbäumen erhalten und möglichst erweitern kann.

Der Projektansatz ist modular aufgebaut und umfasst zwei Phasen.

Phase 1 (Ende 2012 bis Mitte 2013) dient der strukturellen und inhaltlichen Vorbereitung der eigentlichen Planungsaufgabe und beinhaltet neben der allg. Konzeptentwicklung auch eine Datenzusammenstellung und -auswertung. Dabei werden u. a. vorhandene stadtlimatische Daten aus dem ExWoSt-Modellprojekt mit statistischen Daten der Stadt verschnitten (z. B. Bevölkerungsdichte, demografische Struktur), ebenso erfolgt ein Abgleich mit der Lage besonders sensitiver Einrichtungen (z. B. Gesundheits-, Sozial-, und schulische Einrichtungen). Erste Ansätze einer solchen Vulnerabilitätsanalyse liegen bereits aus der Beteiligung am KIBEX-Projekt vor und werden entsprechend berücksichtigt.

In Phase 2 (Mitte 2013 bis Mitte 2014) steht dann eine detaillierte Betrachtung einzelner "Hot-Spot"-Quartiere sowie die planerische Ausformulierung von sektoralen Anpassungsmaßnahmen in Form von einer bzw. mehreren Karten und einem Erläuterungsteil auf dem Programm. Konkrete Beispiele dafür sind die Überprüfung von Nachverdichtungsmöglichkeiten in Quartieren ohne klimatische Einbußen oder Verringerung der Verdichtung in Großsiedlungen der 60er / 70er Jahre. Die Beschränkung der Höhenentwicklungen und rückwärtigen Bebauungen wird überprüft, wo dies klimatisch erforderlich ist und Regelungen zu maximalen Dichtewerten auf FNP- und Bebauungsplanebene aufgezeigt. Außerdem werden mögliche Entsiegelungsmaßnahmen und Umbauten in potenziellen Sanierungsgebieten dargelegt.

Weitere Bestandteile von Phase 2 sind die Diskussion von Zwischenergebnissen in den politschen Gremien sowie der Einbezug der Öffentlichkeit durch Informationsveranstaltungen. Der Rahmenplan selbst soll nach Abschluss der Arbeiten als strategische Planungsgrundlage beschlossen werden. Er wird dann künftig die Ableitung konkreter Festsetzungen für die Bebauungsplanebene erleichtern, aber auch Grundlage für gezielte Verbesserungen im Bestand sein, wie beispielsweise für die Ausweisung neuer Sanierungsgebiete oder Ergänzung des Maßnahmenkatalogs in bestehenden Sanierungsgebieten.


Referenzen

Stadt Karlsruhe, Umwelt- und Arbeitsschutz (Hrsg., 2013): Anpassung an den Klimawandel Bestandsaufnahme und Strategie für die Stadt Karlsruhe, pdf

Weitere Informationen

Karlsruhe: Anpassung an den Klimaschutz

Ideen- und Kooperationsbörse zur Klimaanpassung

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